Düsseldorf International

Die Dinge beim Namen nennen, das ist immer noch sexy.
Sonntag früh im deutschen Herbst, zu früh für das System, das vermeintlich nie schläft.
Vor mir liegen 24 Stunden in der globalisierten Flughafenwelt, die heute ja niemand mehr haben will, sagen wenigstens die Rechtspopulisten, an allen Fronten auf dem Vormarsch.
Ich selbst, mein neues Selbst, gleitet beinahe lautlos durch diese Welt aus Glas und Stahl.
I used to be different but I am now the boy who can enjoy invisibility.

Das hängt mit den ganzen Schwierigkeiten zusammen oder wie man ihnen regelmäßig begegnet. Resilience nennt man das, Standhaftigkeit ohne Halsstarre, biegsame Widerstandskraft, lockere Schultern bei festem Stand.
Nicht in Problemen denken, sondern in Lösungen, das hört sich nun an wie aus dem Managerhandbuch für Samurai. Vorsichtig, but not too worried, das ist schon besser und mir total egal, wie es sich anhört.
Der Kern des Problems ist die Lösung. Bei genauerem Hinschauen. Es entwickelt sich mit ein bisschen Hardcore Engelsgeduld bald zum Sport, irgendwie so halt.

(Metaconscious Interlude)
Human instinct is a skill that can be sharpened and tested. Any high life rubbish, lovely, nothing but, as a matter of fact. The dull illusion of airline travel. Artificial Intelligence can never give you the feeling of being understood by a human being. It’s alright to notice what you notice, Mister Ginsberg, but what if you notice just too much at all times?!

Mir ist es schon lange äußert sonderbar erschienen, wie sehr sich die Idee der Flugreise von ihrer Realität abhebt. Obwohl so ziemlich jeder das Reisen liebt und sich milliardenschwere Software-Netze aus entsprechenden Abbildungen und Angebereien speisen, wird die Wahrheit der Airlinewelt bestenfalls ertragen, überwiegend handelt es sich um ein schweigendes, teils stöhnendes, bald gehässiges Erleiden.
Zusammengepfercht, verschoben wie Schlachtvieh, so gut wie sämtlicher persönlicher Rechte beraubt, durchleuchtet und ausgesaugt, so dass man sich im Knast fast noch freier bewegen dürfte. Die Zeit wird totgeschlagen so dumpf und tumb es eben geht, man stopft überteuerte Sandwiches in sich rein und produziert pro Stunde einen halben Kubikmeter Plastikmüll. Nur um dann bei der nächstbesten Gelegenheit wieder am Rechner zu sitzen, den nächsten, günstigen Flug zu buchen und von der weiten Welt zu träumen. Aber auch das nur nebenbei.
Wir wollen schon noch glauben, dass wir das irgendwann einmal vielleicht etwas besser hinbekommen, mit einem gewissen Stil vielleicht, und einer Spur von Verstand.

Wo ich jetzt hinfahre, da freuen sich eine ganze Reihe von Leuten auf mich und der anderen Hälfte habe ich es mangels abzusehender Zeit gar nicht erst erzählt. Auf mich, dessen Gegenwart schon lange nicht mehr richtig gesucht wird, ganz zu schweigen von seinem Wort, seiner Einschätzung, seiner Ahnung oder seiner Information. Womit wir wiederum ganz am Anfang dieser Reise angelangt wären, bei meinem persönlichen Klagelied vom Überfluss und der Vernichtung von Information.
Wir sind immer noch drauf und dran, irgendetwas Unbestimmtes herauszufinden, wahrscheinlich nicht direkt auf den Seiten zehn oder elf, und wohl auch nichts über einen geheimnisvollen Sex Drill, doch möglicherweise über eine neue Brücke in Sachen Angst und von ihr lassen, und über diesen inneren Zusammenhalt aller Dinge, der sich irgendwann von ganz alleine offenbart, wenn man auf einer Flugreise nur wenigstens einmal in der Flughafenbar gesessen hat.

Die Steinmetze, esoterisch oder auch nicht, fordern für ihre Zeitkapseln zwei wesentliche Informationseinheiten: wer war anwesend, erstens, und wieviel kostet ein Bier, zweitens.
The Bridge Bar, Heathrow TW6 1AY, mit Sadeeq aus Islamabad, ehemals Teppichhändler, der in Hamburg drei Millionen US-Dollar an die Gypsies verloren hatte. Die Pakistani rechnen ganz traditionell in US-Dollar und warum auch nicht.
Pakistan haben sie bald wieder im Griff, sagt er auf meine Frage, ob er die Reise empfehlen könne. Das nächste Jahr könnte das friedlichste der jüngeren Geschichte werden, die Taliban haben sie zu Neunzig Prozent vertrieben und die Chinesen haben Kameras in allen größeren Städten installiert. Fünftausend, zehntausend, sie können jetzt jede einzelne Bewegung nachverfolgen. Das bringt die Sicherheit und die Ruhe und das Glück.

Wir sitzen zusammen an Stehtisch Nummer Neunzig, das Bier heißt Stella Artois und kostet vier Pfund fünfundsiebzig Pence. Mein Internet funktioniert nicht, zum Glück, denn so kann ich ein wenig mehr vom Duft der neuen und weiten Welt aufzeichnen, an den beiden vertikal rechteckig angebrachten Bildschirmen sind folgende Destinationen angeschlagen, der Füller läuft jetzt wie ein hölzernes Schwert.

Miami
Washington
Miami
Boston
Melbourne via Dubai
Accra
Lisbon
Helsinki
Salt Lake City
Los Angeles
Warsaw
New York
Miami
Dubai
Charlotte
Detroit
Barcelona
Phoenix
Budapest
Denver
Vienna
Dallas/Fort Worth (that’s me)
Shanghai
New York
Lisbon
Atlanta
San Francisco
Bilbao
Los Angeles
Lyon
New York
Helsinki
Barcelona
Prague
Las Vegas
Dubai
Tehran
Chicago
A Coruna
Amman
Hong Kong
Marseille
New York
New York
Vancouver

All of these cities might be gone and vaporized, not even heard of or long lost legends, if one the crackheads actually goes on to win the national lottery.

Sadeeq fallen die Augen zu wenn ich ihm etwas erzählen will. Das könnte an mir liegen oder meinetwegen auch an ihm. Die Schlange in den Bridge Pub findet kein Ende, sie alle wollen sich sanft den Kopf freimachen, all die ganzen Fluggäste.
Sadeeq telefoniert jetzt , leicht echauffiert, er ist ja immerhin Chief Executive Officer, Engineering & Construction, was auch sonst. Von Deutschland hat er die allerhöchste Meinung, warum auch nicht, they are all hard workers.

Aufgespritzte Lippen und schwarz glänzende Leggings und immer noch satte zwei Stunden hier in der Flughafenkaschemme, aus der es für unsereins kein Entrinnen gibt, nur dass jemand vielleicht endlich einmal Sheryl Crow’s ‘I just wanna have fun’ auflegen könnte.
Mir stehen noch weitere sechzehn Stunden in dieser verqueren Mindwarp-Welt der interkontinentalen Weltraumreise und retardierten Seelenwanderung bevor, bevor ich endlich wieder auf Mountain Time laufe, in this great great grand tradition, on the western slope of this romantic America.
Es ist ja nicht eben so, dass sich die digitale Globalretadierung einfach so zurückdrehen liesse, von mir schon garnicht, von den allerorten verführten Nationalisten aber auch nicht.
La soupe internationale, im Glas wie auf den Lautsprechern, double screen out als standard feature der Metamoderne, wie gut nur, dass ich so gottverdammt und glückselig unbedeutend bin.

taken from: The Grotto (2017)

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