2024/7 – KW2

Von Thomas Bernhard war einst zu lesen, man könne schreiben nur durch das Lesen der Zeitung. Nun, zu Thomas Bernhard fehlt mir mehr als nur ein ganzes Stück, aber aus der Zeitung oder eben dem Radio heraus lässt sich tatsächlich gut schreiben. Zumal, wenn man hier im suburbanen Raum sein Dasein fristet und vom Auf und Ab der Welt nur aus zweiter oder dritter Hand erfährt.

Was für Thomas Bernhard die Zeitung war, ist für mich die Internationale Presseschau im DLF, werktäglich um 12:50 Uhr mitteleuropäischer Zeit. Neun Minuten Geopolitik für den Hausgebrauch, sei es nun Haaretz, die Washington Post, de Tijd, de Volkskrant, die NZZ, die Rzeczpospolita, Politiken oder T24. nicht zu vergessen natürlich die in Mexiko Stadt erscheinende La Razon oder die unumgängliche Nihon Keizai Shimbun. Es wird gemahnt und gemeint, beobachtet und konstatiert und natürlich mit Sorge festgestellt. Und es gibt eben kein Problem, das Deutschland und China nicht gemeinsam lösen können, glaubt man der Huánqiú Shíbào.

Tatsächlich braucht es kaum mehr Nachrichten über die – aktuell hoch volatilen – Global Times, ein bisschen China, ein bisschen USA, eine Prise Europa und einen Schuss globaler Süden. Sollte man als Alien auf diesem Planeten eintreffen, würde ich zur ersten Übersicht diese Internationale Presseschau empfehlen wollen. Keine Frage, selbstverständlich unterliegen auch diese Nachrichten einer Redaktion, aber zum einen sind es ohnehin Kommentare, verdichtete Meta-Information also, zum anderen liest man jede Zeitung idealerweise zwischen den Zeilen. Thomas Bernhard wird es kaum anders gehandhabt haben.

Für mich gibt es im kontemporären Mediendschungel kein vergleichbares Format, schon gar nicht in dieser Melange aus Kompaktheit und Multipolarität. Wie war das noch mit global denken und lokal handeln, den ersten Teil der Gleichung hätte man heute schon wieder erfüllt. Ob sich daraus irgendein persönlicher Wert schöpfen lässt, bleibt wie immer mehr als fraglich, wahrscheinlich wäre es besser, gleich nur nach Innen zu schauen, oder wenigstens vor die Füße. 

Das muss aber kein Widerspruch sein, weit außen ist so nah und ebenso fern wie tief innen, man kann also ebenso gut in beide, in alle Richtungen schauen. Nicht zuletzt dafür haben wir einen runden Kopf, hieß es ja auch mal. Überhaupt, Ambiguitätstoleranz. Widersprüche aushalten können ohne gleich aus den Latschen zu kippen. Regelmäßig, zunehmend  sprechen wir in letzter Zeit von den Gefahren für die Demokratie, von der Polarisierung und Spaltung der Gesellschaft.

Selten noch hört man gemäßigte Töne, wer nicht für mich ist, ist gegen mich. Viel haben wir dazu gelesen, von Filterblasen und Echo Chambers und Rabbit Holes, alles sozialmedial algorithmisch konstruiert und selbst verstärkt. Selten nur liest man, selbst in meinen Kreisen, davon, dass Dinge beides sein können, dass sie sich blendend widersprechen können, ohne ihre Existenz zu gefährden. Vielleicht bin ich “besser” auf derartige Phänomene vorbereitet, als widersprüchlicher Typ, als wenigstens teilweise fragmentierte Persönlichkeit, als Jack of all Trades. Wenn die Lage sowieso noch nie ganz eindeutig war, dann bringt einen die Schizophrenie der jüngeren Moderne auch nicht gleich aus dem Gewicht. Welches allemal gegeben ist, immerwährend und sich immer wieder von selbst einstellend, ideal visualisiert im Yin und Yang. Am Ende ist es wohl das, was ich so sehr liebe an der Internationalen Presseschau, ihr kaleidoskopisches Naturell, ihre Erleichterung des Gleichgewichts.

Kommentare sind geschlossen.