Zum ersten mal sehen wir ihn, Schorsch, mit dem schwer beladenen A4 Kombi, als er uns kurz vor der Autobahn-Abfahrt Alsfeld Ost überholt und es ist schnell klar, wo die Reise hingeht. Und weil er sich noch verfährt kommt er am Ende sogar noch nach uns in der Neuen Heimat an, angehalten wurde er trotz seines Offenbacher Kennzeichens und der langen Stoner-Mähne nicht, heute noch nicht, sonst passiert schon ganz gerne mal, verdammter Freak, viel zu viel Spaß im Leben.
Die Kollegen kommen später dazu, die Freundin sowieso, ein ganz normales Camp, könnte man sagen; jung, musikbegeistert, etwas melancholisch angehaucht ob der allgemeinen Situation, aber wer ist das nicht, gleichermaßen wütend wie traurig.
Noch bevor das offizielle Musikprogramm beginnt fahren wir zum nahegelegenen See, per Anhalter, zwei Mädchen bar jeder Sinne die uns freundlicherweise mitnehmen, alles ein bisschen wie im Märchenland höre ich mich gerade noch sagen, und dann stehen sie schon am Straßenrand, sehen aus wie frisch aus der Matrix, finstere Audis und noch dunklere Mienen, die Geheimpolizei fischt die Hippies von der Straße.
Mit denen ist nicht gut Kirschen essen, das sieht man auf den ersten Blick, hier wird mit harten Bandagen gearbeitet und nicht lange gefackelt. Pinkeltests, Blutproben, Eilverfahren, am nächsten Tag, Hauptanreise, da bauen sie gleich ein ganzes Zelt an der Autobahnabfahrt auf, inklusive Arzt und Drogenhunden, das volle Programm, man könnte es auch Kriegserklärung nennen.
Strange times indeed, der Staat dreht durch, wendet sich gegen seine eigenen, unbescholtenen Bürger, ich kann hier beim besten Willen keine Gefährder ausmachen. Friedliche Menschen, wo das Auge auch hinschaut, Familien, kleine Kinder, Träumer und Fantasten. Der diensthabenden Hundertschaft geht es um die öffentliche Ordnung und die Sicherheit im Straßenverkehr, klar, gegen Drogen im Allgemeinen und Cannabis im ganz Speziellen und wehe einer hat vor ein paar Tagen mal an einem Joint gezogen, dann ist aber Schluss mit lustig.
Wobei die Ordnungsmacht von vorne herein nicht zum Spaß hier angetreten ist, alle BesucherInnen dieses Festivals werden ganz grundsätzlich unter Generalverdacht gestellt, Persönlichkeitsrechte werden ebenso eingeschränkt wie der Zugang zu Wasser. Allesamt auf der Rechtsgrundlage eines zumindest reformbedürftigen Gesetzes über die eingeschränkte Fahrtüchtigkeit unter dem Einfluss von Cannabis, welches schon bei einer Konzentration von 1,0 Nanogramm Tetrahydrocannabinol (THC) pro Milliliter But den Entzug des Führerscheins vorschreibt.
Dieser Wert ist so niedrig angesetzt, dass er bis zu neun Tage nach dem Genuss des mittlerweile anerkannten Heilmittels Cannabis noch im Körper nachgewiesen kann und es für den auf diese Weise dingfest gemachten Gesetzesbrecher zu gravierenden Folgen kommt. Der unwürdigen Behandlung vor Ort folgt die sogenannte, teils ebenso unwürdige, medizinisch-psychologische Untersuchung, Jahre voller Querelen & Schikanen, ein wirtschaftlicher Schaden, der sich auf Tausende von Euros belaufen kann.
Da wird doch mit Kanonen auf Spatzen geschossen, hätte man früher gesagt, und natürlich drängt sich jedem halbwegs vernünftig denkenden Menschen die Frage auf, warum das so passiert, warum hier immense Steuergelder für den reinsten Firlefanz verpulvert werden, warum Deutschland so weit hinter der Gesetzgebung anderer Industriestaaten hinterherhinkt, wo sich doch sogar die Spitzen der Kriminalpolizei deutlich für eine Entkriminalisierung ausgesprochen haben.
Traurig und wütend macht das, um in den Worten von Götz Widmann zu bleiben, weil die hierzulande stur weiter betriebene Praxis der Kriminalisierung solch ein offensichtlicher Irrsinn ist, so ganz und gar ohne Maß oder Verstand, dass man nicht nur als Individuum einknickt, sondern auch als Bürger und Teil dieser vermeintlich aufgeklärten Gesellschaft.
Marlene Mortler, CSU, ihres Zeichens Drogenbeauftragte der Bundesregierung, spricht davon, dass Cannabis verboten sei, weil es eine illegale Droge ist, Punkt. Keine Pflanze ist illegal, sagen andere, und ganz generell ist es mit der Il-legalität so eine Sache, denn wir sprechen hier ja nicht von einem Naturgesetz oder einem Kapitalverbrechen, sondern lediglich von einer Definition oder Deutungshoheit, von Grenzwerten und ihrer Wilkür, von Angst und Schuldgefühlen, von Genussmitteln oder Drogen. Alexander Dobrindt, ebenfalls christlich-sozial, sprach zu Anfang des Jahres von einer konservativen Revolution und obwohl wir uns hier nicht auf bayerischem Boden befinden, greift die Staatsmacht mit der vollen Härte dieses abstrusen Gesetzes durch. Selbst wer nicht selbst am Steuer sitzt und sich mit einer kleinen Menge Cannabis “erwischen” lässt, muss mit Post von der Führerscheinbehörde rechnen, sofort wird ein gelegentlicher Konsum und die zwingend dazugehörigen psychischen Defekte unterstellt. Na gut, wir leben in einem Land des Automobils, der Führerschein ist das höchste Dokument der Staatsangehörigkeit, da braucht es schon keine weitere Kriminalisierung mehr.
Wer es am Ende dennoch einigermaßen unbehelligt auf das Festivalgelände geschafft hat kann seine/ihre Pflanzen in Frieden genießen, schlägt sich allerdings für den Rest der Zeit mit der Furcht vor der Heimreise herum. Wie schon gesagt, der Konsum lässt sich dank der unsäglichen 1ng-Grenze auch Tage später noch problemlos nachweisen und entsprechend ahnden, die Rückfahrt wird zum Spießrutenlauf, irgendwen wird es zwangsweise erwischen, nur hoffentlich nicht uns, dabei seid ihr doch Teil von uns.
Die, offensichtlich erfolgreiche, Entkriminalisierung/ Legalisierung in Staaten wie Colorado, Portugal und Kanada führt uns die groteske Krankheit des deutschen Cannabis-Systems zunehmend deutlicher vor Augen, es scheint ja in der Wirklichkeit überhaupt nicht so zu sein, wie Marlene Mortler uns hier vormachen will.
Traurig und wütend, das sind die richtigen Worte an diesem Sonntag auf dem Herzberg, wobei die Wut deutlich in den Vordergrund treten sollte. Gesetze wie diese sind dazu da, sie zu brechen, sie zu unterwandern und auf das Naturgesetz zurückzuführen, sprich zu ändern, umzuwerfen, neu zu schreiben. Dazu müssen wir allerdings unsere Stimme erheben und wenigstens aus der Deckung kommen, vielleicht auch Opfer bringen, wenigstens aber engagieren.
Uwe war 15 Jahre illegal hier, wie er uns verriet, nicht mit Cannabis, sondern mit seinem berühmten Wagenburger aus Haferflocken, aber doch irgendwie geduldet und irgendwann auch ganz offiziell, der Weg ist also machbar, es braucht nur etwas Mut, Geduld und Öffnung.