Es ist dies wohl ein guter Zeitpunkt, um ein kleines Stück echter Information einzufügen. (eben so wie die längst überfällige Referenz an Mr. Mark Twain)
Geleitet von dem Gefühl, dass es hier angemessen wäre, den Pfad des halb-fiktiven Gequatsches für einen Moment zu verlassen. Detroit verlangt – und verdient – einen etwas nüchterneren Untersuchungsansatz. Sofern dies überhaupt möglich ist.
“Was zum Teufel willst Du da?”, neun von zehn Leuten stellen diese Frage, so unausweichlich wie ungläubig.
Verwahrloste Geistermetropole der post-industriellen Apokalypse, Mordhauptstadt der USA, vergötterte Wiege des Techno, Do-It-Yourself-Paradies für Gentrifizierungsflüchtlinge;
nur eine kleine Auswahl der urbanen Legenden, die sich üblicherweise um das “D” ranken.
Fakt ist, dass Detroit einen echten Meisterlehrgang im Studium der Gerüchte und Halbwahrheiten anbietet. Zumindest in Nordamerika gibt es wohl kaum einen zweiten Ort, der ebenso tief eingehüllt ist in einen Nebel aus Mythen und Horrorgeschichten.
Und genau so zögerlich wie die Leute mit tatsächlichen Reisen nach Detroit umgehen, so schnell sind die meisten dabei, dich darüber zu informieren, was dort wirklich abläuft. Keine echte Neuigkeit, eher ein absolutes Standardschema in diesem Zeitalter der Information.
“Sogar am hellichten Tage wirst du ganz einfach ausgeraubt, wenn du in der falschen Gegend herumläufst, oder eben direkt erschossen.” Die Scheckbuchhippies in San Francisco wissen wie immer genau Bescheid, 2.400 Meilen gen Westen.
Aber selbst wenn man es dann einmal hierher geschafft hat, fällt der Schleier keinesfalls in irgendeiner logischen oder sauberen Prozedur.
Stattdessen wird man überrollt von einer Flut aus ungeheuerlichen Geschichten, die Leuten am eigenen Leibe widerfahren sein sollen, sowie mit nur immer noch mehr Gerüchten und Verschwörungsfakten.
In den meisten Fällen geht es dabei um Gewalt und Verbrechen, das Thema Nummer Eins für jeden Neuankömmling, stets kontrovers diskutiert und unter Umständen ein Untersuchungsobjekt, an dem man von Nachforschungen auf eigene Faust ausnahmsweise einmal absehen sollte. Die unverfälschte und selbsterlebte Wahrheit könnte in diesem Feld mit einem sehr hohen Preisschild versehen sein.
Eine an sich schon schwierige Konstellation, die sich noch weiter verkompliziert, da sich Detroit über eine ungeheure Fläche erstreckt und man schlicht und ergreifend nicht besonders vielen Menschen über den Weg läuft.
In Folge dessen ist man also angewiesen auf einige wenige, von denen man jedoch ausnahmslos mit absonderlichen und verschwommenen Geschichten gefüttert wird. Man stützt sich demnach bei der Erkundung dieser eigentümlichen Stadt weit mehr auf Erzählungen und mündlich überliefertes Wissen als dies üblicherweise der Fall sein sollte.
Angereichert um den Nebeneffekt, dass man seine Fertigkeiten auf diesen Gebieten entsprechend üben und vertiefen kann.
In solch trüben Gewässern konzentriert man sich wohl am besten auf lokale Informationen, spricht mit den Nachbarn, glaubt an die selbstgebauten Wege, und schaut etwas genauer auf all das, was sich hier vor den eigenen Augen abspielt. Im Chaos schaut man am besten direkt vor die Füße.
Beileibe kein ganz neuer Ansatz, aber der ist auch nicht unbedingt gefordert. Es ist eine bewährte Technik aus Berlin, einer Stadt, die ich amerikanischen Freunden gegenüber gerne als eine Art Halbblut aus New York und Detroit erkläre.
Vor allem anderen: Behalte zu jeder Zeit einen kühlen und ruhigen Kopf! Eben diese Art von Einsicht und Vernunft, die ich umgehend und auf brutalste Weise vergewaltige, in meiner ersten Nacht in Detroit, nur wenige Stunden nach meiner Ankunft in der Amtrak-Station in New Center.
Ich werde stürmisch willkommen geheißen von zwei Mädchen die ich auf der Spitze meiner Launenhaftigkeit ausgegraben habe,
folge diesen beiden perfect Strangers blindlings in ihr schwarzes Unbekanntes, dabei sind mir ihre verqueren Muster nicht unbedingt geheuer, trotz allem bin ich schwach genug, um einen Hit von dem scheußlichen Pulver anzunehmen, welches das schwarze Mädchen aus ihrem Flakon anbietet, ich treffe einen freundlichen DJ aus Deutschland, inmitten von gestressten White Trash Ravern und einer gefährliche Filipina im Club The Works, und weiter zur nächsten bedeutungslosen After Hour in irgendeinem unbekannten Haus, um schließlich den Ball leichtfertig in einem armseligen Sex-Geplänkel mit einer Facebook-süchtigen Bedienungskraft zu verlieren.
Die Quittung erhalte ich zügig in Gestalt eines albtraumhaften Kokainkaters am frühen Nachmittag des nächsten Tages, kalt und leer bis ins Mark im Schlafsaal des Hostels, pakistanische BWL-Studenten die den ganzen Tag das Bett nicht verlassen, ein fettiger Cheeseburger und College-Football zum Frühstück, welcome to Detroit Motherfucker, try again.
Anscheinend bin ich noch immer mit mehr Glück als Verstand ausgerüstet, denn schon am frühen Abend werde ich Handsome Tim vorgestellt, der hier geboren und aufgewachsen ist. Besser gesagt in Grosse Pointe, einem der wohlhabenden Vororte an den Ufern des Lake St. Claire, just außerhalb der Stadtgrenzen von Detroit und doch Lichtjahre entfernt.
Trotzdem hat Tim die Füße am Boden, mitten auf dem Dirty Boulevard, er lebt mittlerweile in Detroit, im Stadtteil Hubbard Farms, in einer dieser herrschaftlich anmutenden alten Villen. Mit seinem Mitbewohner teilen sie sich ein großzügig geschnittenes Vintage-Apartment im ersten Stock, der Rest des Hauses steht leer.
Detroit sei immer noch seine absolute Lieblingsstadt, sagt er, von allen Städten die er je gesehen habe. Ziemlich schnell stellt sich auch heraus, dass Handsome Tim nicht zu der Sorte von Leuten gehört, die mit wilden Stories um sich werfen. Im Gegenteil – fast bietet er so etwas wie einen Nukleus zu diesem ambivalenten Gebilde an.
Detroit fördert eine höhere Version des Lebens im Unterholz. Die Stadt gebietet mehr Vorsicht, mehr Blick aufs Detail, mehr Pflege der unmittelbaren Gemeinschaft und der Nachbarn, sowie insgesamt mehr Geduld und Verbindlichkeit als jede andere (amerikanische) Stadt.
Darauf ungefähr läuft es hinaus. In den ganzen Wochen die folgen, wird es mir nicht gelingen, eine hochgradigere Essenz dieser Stadt herauszuarbeiten und gleichzeitig kann ich immer wieder auf diese hier zurückgreifen.
Hinzu kommt, dass dieser “Detroit State of Mind” eine ordentliche Portion jener lästigen Trägheit verbrennt, die wir in unserer weißen Mittelschicht regelmäßig mit uns herumschleppen. In Detroit muss und kann man aufwachen.
Der schmucke Tim hält sich an ein paar einfache Regeln. Abends ist er nicht zu Fuß unterwegs, seine Biere kauft er vor Einbruch der Dunkelheit, und um gewisse Tankstellen oder Liquor Stores macht er ganz prinzipiell einen großen Bogen. Warum sollte ich auch dahin gehen, sagt er dann ganz nüchtern.
Alles ist sehr viel direkter und praktischer ausgelegt in dieser Stadt. Vor einem Ausflug in die post-industrielle Wildnis dieser dritten Landschaft vergewissert man sich eben, dass der Benzintank auch hinreichend gefüllt ist; und ganz überhaupt muss man solche Abenteuer ja auch nicht alleine angehen. Der ausgeleierte Ego-Trip anderer Großstädte findet in Detroit keine Anwendung mehr.
Interessanterweise ist die Motor City jedoch eine sehr gute Stadt für Fahrradfahrer, und zwar aus wiederum sehr praktischen Beweggründen. Sogar bei Nacht, wenn man zu Fuß schlicht nicht mehr auf den vereinsamten Straßen unterwegs sein sollte.
Denn auf dem Fahrrad lebt man umgehend in einer anderen Welt, es ist um vieles leichter, den möglicherweise unheimlichen Bürgersteigbegegnungen aus dem Weg zu fahren.
Viel gefährlicher ist da schon die Tatsache, dass man in dieser Welthauptstadt des Automobils in der Regel nur recht wenigen Autos begegnet. Viele Straßen sind so leer und unbefahren, dass der Fahrradfahrer leicht etwas schläfrig und das gelegentlich heran preschende Kraftfahrzeug dann leicht übersehen wird.
Es ist eine merkwürdig aufwühlende Stadt, dieses Motown, und ihre Kriminalität bleibt auch in der zweiten und dritten Woche das Lieblingsthema rund um jedes neuzeitliche Lagerfeuer.
Ein unerschöpflicher Quell für Horror- und Schauergeschichten aller Art. Im Freundeskreis kann man natürlich bestens punkten mit derart gestrickten Schreckensmeldungen und Untergangsszenarien, die meisten unserer Freunde gieren doch regelrecht danach. Und zur gleichen Zeit steht man selbst als “BAD ASS” da, je krasser der Scheiß desto besser.
Meine knapp vier Wochen in Detroit werden mich nicht in die Lage versetzen, ein sachlich fundiertes Urteil abgeben zu können, doch wie es scheint, sind willkürliche Verbrechen auf offener Straße mehr als nur ein Mythos.
Natürlich trifft man ein paar Menschen die genau das Gegenteil behaupten, doch denen geht es vielleicht auch nur darum, ein Image zu korrigieren oder ihren ganz eigenen Gegenbeweis zu führen. Oder aber es handelt sich um jugendliche Abenteurer auf der Suche nach Gefahr und dem harten Leben des Ghettos.
Spricht man hingegen mit den Einheimischen, üblicherweise vernünftige Menschen und keine Panikhändler, so bekommt man schnell eine ordentliche Sammlung an Augenzeugenberichten aufgetischt, von Raubüberfällen und Knarren im Gesicht.
Mach kein dummes Zeugs, ist der regelmäßige Ratschlag an den verängstigten Besucher, normalerweise gibt es einen triftigen Grund für solche Vorfälle.
So wie die Maschinenpistole deren Lauf sich plötzlich an der Schläfe unseres schmucken Tim wiederfand. Gehalten wurde sie vom Manager eines Crack Hauses, oder wie auch immer man diese Position korrekt bezeichnen möge. Handsome Tim hatte dort geklingelt, um Gras zu kaufen, leicht verständlich dass man in dieser Branche Fremden gegenüber etwas abwartend agiert. Die meisten dieser Geschichten verfügen über eine ähnlich plausible Erklärung.
Und dennoch herrschen in Detroit genug Armut und drogengeschwängerte Verzweiflung, um es hin und wieder zu völlig unvermittelten und wahllosen Überfällen kommen zu lassen. Man muss sich nicht zwingenderweise bei den Crackhouses oder der falschen Sorte von Coney Island Hot Dog Buden herumtreiben.
Das Verbrechen in Detroit bleibt ein kaum zu durchdringendes Thema, ungeschickt hantiert man mit schweren Argumenten auf beiden Seiten der Waagschale und findet doch nie so recht die Balance in dieser Diskussion.
Eine Aufgabe die ähnlich aufreibend und erschöpfend ist wie die Beurteilung einer neuen Renaissance von Detroit, einem Thema das in den letzten ein bis zwei Jahren einige elektronische Medien in Aufruhr versetzt hat.
Im Internet – natürlich – in verschiedensten Blogs und Nachrichtenmagazinen spricht man von einer neuerlichen Auferstehung der heruntergekommenen Metropole. Alleine die New York Times brachte sieben große Features in den letzten zwei Jahren. DIY-Künstler und Hochschulabsolventen zieht es in die Motor City, gefolgt von Unternehmen der Kreativwirtschaft und ihren Investoren und Inkubatoren.
Kaum dass man in das Hostel Detroit eigecheckt hat, läuft man dem Geknickten Häuptling in die Arme, dem ersten – und lautesten – aller Renaissance Professoren.
Er weiß so ziemlich alles über die nähere Zukunft dieser Stadt, über die gigantischen Süßwasserreservoirs der großen Seen, die sich unmittelbar nach der Apokalypse zwingend in einen erstklassigen Bodenschatz verwandeln werden.
Ein Stückchen Information, das jedem Neuankömmling an dieser sonderbaren Universität ungefragt in den Rachen gepfropft wird. In gleicher Weise vermag der geknickte Häuptling über die idiomatische Sprache des amerikanischen Rechtssystems zu referieren, und hält natürlich alle Einzelheiten zum kürzlich eingesetzten Immobilienboom in Detroit bereit.
“Junge, wenn Du vorhaben solltest, ein Haus in dieser Stadt zu kaufen, mach es jetzt. In spätestens einem Jahr ist alles weg. Hast du das große Gebäude von Ernst & Young in der City gesehen? Die kommen nicht einfach so her, Bruder, die wissen was.”
Der Häuptling selbst besitzt angeblich eine Villa mit 15 Zimmern, sein Anteil an der goldenen Zukunft dieser verrückten Stadt. Naja, fast. Aktuell ist es wohl nicht mehr als ein weiterer Kristallpalast den er zu erwerben gedenkt, zusammen mit einem Freund, der seinen Angaben zufolge ein landesweit bekannter Topanwalt sein soll. Und so weiter.
In der Zwischenzeit muss er sich mächtig strecken, um die Lebensmittel einzukaufen, die er sich dann im oberen Stockwerk der Herberge zusammenköchelt, wo er sich mit ein paar anderen Freibeutern und Leidensgenossen eine Wohnung teilt.
Es gibt Momente, in denen sich diese ganze neue Renaissance-Geschichte von Detroit wie der Plot zu einer Art post-industriellem Goldrausch anhört, genau die Art von Storyline, nach der das gesamte Land so verzweifelt lechzt.
Tatsächlich könnte es aber sein, dass es kaum mehr ist als das ganz gewöhnliche Stimmengewirr dieses hysterischen Zeitalters der Information. Angestiftet und als Faktum verbreitet durch die Scharen weißer Social Media Trickser, die mit den Tumblrs und Vimeos und WordPresses dieser Welt jonglieren.
Jene kunstverliebten Kids, die es in Brooklyn oder San Francisco oder Kreuzberg nicht geschafft haben, die Gonzo Journalisten und Bildhauer, die Mixed Media Produzenten und all die anderen Selbstverwirklichungsmonster, die sich in unserem Gewerbe eben so herumtreiben.
Menschen wie dieser Farmer mit den traurigen Augen, Hybride des letzten Dollars, Leute die sich von spottbilligen Häusern in die Stadt locken lassen, ein komplettes Haus für ein paar Hundert Dollar, oder zwei Tausend im höchsten Fall.
Unser New Age Bauer kam mit einem dieser billigen Nachtflüge aus Seattle in die Stadt, zuletzt war ihm irgendeine Ernte in die Hose gegangen, und jetzt scannt er die Internetseite von Fannie Mae, auf der Suche nach einem der versprochenen Immobilien Schnäppchen.
Höchstens 2000 Dollar möchte er investieren, sehr viel mehr hat er auch nicht auf Tasche, danach bliebe ihm noch genau ein Tausender für den ganzen Rest.
Unmittelbar im Anschluss an den Erwerb der Liegenschaft möchte er sich der Umsetzung einer revolutionären neuen Geschäftsidee widmen, über die er mir zum jetzigen Zeitpunkt natürlich nichts verraten darf.
Na gut, gibt er auf meine zweite Frage hin zu, es geht darum im Keller des Hauses Gras anzubauen. Entweder das, oder aber zurück nach Kalifornien, um sich dort mit den drei Riesen als Vagabund durch den Winter zu schlagen.
Zwischen diesen beiden Polen sieht er keine Möglichkeit, für mich ist das keine ganz einfach nachzuvollziehende Auffassung von Radikalität.
Er hingegen meint, dass er es sich nicht leisten könne, Miete zu bezahlen, und nach sechs Jahren einer wie auch immer gearteten Form der Selbstständigkeit hat er gewisse Schwierigkeiten, sich mit der Idee eines bezahlten Jobs anzufreunden.
Es entspricht der Wahrheit, dass man auf den elektronischen Marktplätzen Häuser für 2000 Dollar oder weniger finden kann. Und so wie die Tinte auf dem Kaufvertrag getrocknet ist, kann es passieren, dass man von der Stadt Detroit ein Angebot für das angrenzende Grundstück erhält, für nur 5000 Dollar mehr.
Auf dass sich bloß jemand um das Land kümmern möge.
So dauert es nicht lange, bis sich das neue DIY-Königreich über einen ganzen Straßenblock erstreckt, direkt bis an das nächste Crackhouse heran.
Selbst mein sehr limitiertes Verständnis von Detroit sagt mir, dass unter all den hübschen Ideen die wir von unserer Zukunft haben, gerade diese Stadt mehr Zeit, Respekt, Verbindlichkeit und Geduld verlangt. Dann allerdings könnte Detroit vielleicht alles anbieten, wonach wir auf unserer Suche nach selbstbestimmtem Leben immer aus waren.
Zurück am 2000 Dollar Haus wird das Geld wohl gerade reichen, um ein niedliches und verfallenes Schloss sein eigen zu nennen. Dies jedoch wäre bestenfalls der Anfang eines ganz neuen Kapitels im Buch des Selbstverwirklichungsmärchens. Aller Wahrscheinlichkeit nach läge das Grundstück tief im “GAP”, mitten in einem jener Viertel, die alte Detroiter meinen, wenn sie davon sprechen, dass die Stadt nun endgültig unbewohnbar geworden sei.
Das einzelne weiße Kid, alleine auf weiter Flur, mitten in einem ansonsten durch und durch schwarzen Viertel, so auffällig wie ein bunter Hund. Natürlich gibt es eine Chance, dass man es dort packt, nachdem man den Rest seiner Ersparnisse in Zäune und Hunde gesteckt hat. Ganz zu schweigen von den Reparaturen, die an dem baufälligen Anwesen vorzunehmen sind.
Und wie wird man sich wohl während der Devil’s Night fühlen, wenn quer über die Stadt Hunderte von Häusern in Flammen aufgehen, in Detroit’s Ghetto Interpretation des Burning Man? Ob man sich dann noch sicher und wohl fühlt in seinem kleinen DIY Paradies?
Um die Wahrheit zu sagen, ist diese Teufelsnacht nicht mehr gar so verheerend wie sie in den 80er oder 90er Jahren war, wo in der Nacht vor Halloween tatsächlich Hunderte von Häusern in Brand gesetzt wurden.
Seit Mitte der Neunziger Jahre hat die Stadt die gegenkulturelle Angel’s Night ins Leben gerufen. Die Bewohner der betroffenen Gemeinden wurden mit tausenden von Taschenlampen und Handys bewaffnet, um den marodierenden Banden Einhalt zu gebieten und die Feuer wirksam einzudämmen.
Gemeinschaft und echte Hingabe. Hier könnten wir sehr wohl die Schlüssel zum Glück in dieser dritten Landschaft des mittleren Wilden Westens finden.
Do-It-Yourself bedeutet ja nicht zwingenderweise, dass man immer alles alleine machen muss. Warum probierst Du es nicht einfach noch mal, WITH A LITTLE HELP FROM YOUR FRIENDS?
Schau dich um, sprich mit Leuten, in Detroit ist es fast so leicht wie in Black Rock City. Es kann schon sein, dass sie hier ein bisschen schräg sind, dafür aber sind sie bei weitem nicht so abgestumpft und übersättigt wie andernorts. Und es gibt genügend Raum, den wir zu jeder Zeit für uns öffnen können.
Der Bauer der traurigen Gestalt möchte von alledem nichts hören. Nach ein paar Tagen halbherziger Suche schmeißt er die Brocken hin, er sagt dass er den Verfall und den Gifthauch dieser Stadt nicht länger ertragen könne. Zurück nach Kalifornien auf dem nächsten Rote-Augen-Flug. ALRIGHT, denke ich, Dich sehe ich dann wohl vor dem Transit Center in Santa Cruz, an einem dieser milchigen Sonntage am Pazifik, irgendwann im August des nächsten Jahres.
In der Tat ist dieser Pesthauch so etwas wie ein Markenzeichen Detroits, so in etwa wie der Ruin Porn oder sein prägendes Monument, die verlassene Michigan Central Station.
Das beeindruckende Gebäude dient allen Spiegelreflexkameras als unwiderstehlicher Fetisch und ist ca. dreimal so hoch wie das Berliner Berghain – im transatomaren Zeitalter würde es einen verdammt guten Techno Club abgeben.
Wenn denn Detroit nur eine Spur jener hochpotenten Berliner Gentrifizierungsdynamik hätte. “Detroit braucht Gentrifizierung”, sagen die alten Einwohner, “einige Jahre reichen wohl kaum aus.”
Aktuell findet man nur ein paar kleine Taschen voll, so wie auch alles andere hier bestenfalls taschenweise passiert.
So etwa wie der “Michigan Strip”, einen Steinwurf von der Central Station entfernt, einer der viel zitierten geschäftigen Knotenpunkte dieser neuen Renaissance. Dabei handelt es sich um kaum mehr als eine Hand voll Bars und Restaurants und einen dieser generisch-organischen, lokal betriebenen Coffeeshops der minimal gestalteten Gegenkultur. Nebenan bietet ein Immobilienbüro allen Ernstes City-Lofts für 300.000 Dollar an, nur ein paar Blocks entfernt, gelegen am Rande der sechsspurigen, wenig befahrenen Michigan Avenue.
Wir befinden uns in Corktown, auf dem Fahrrad gerade einmal 10 Minuten von der City entfernt, und dennoch ist das Viertel so grün und beinahe ländlich wie man es sich nur vorstellen mag.
In Downtown selbst werden einige der Art Deco Hochhäuser derzeit renoviert und auf Hochglanz poliert. Man stolpert über Tage der offenen Tür, an denen eifrige Immobiliendealer dir die Stiefel lecken, um eines der frisch aufgehübschten Apartments für 1000 Dollar im Monat zu vermieten.
Am anderen Ende der City befindet sich eine weitere dieser hochdynamischen Taschen, der Eastern Market. Dort ist es an Samstagen tatsächlich recht lebendig, sogar die Vorstädter brausen in ihren monströsen SUVs heran, um lokal gezüchtetes Obst und Gemüse zu Spottpreisen zu erhaschen.
Zu guter Letzt gibt es auch noch Midtown, das Universitätsviertel entlang der legendären Woodward Avenue. Dort soll in absehbarer Zeit der erste Wholefoods Bio Supermarkt seine Pforten öffnen. Natürlich kommt der nicht ohne einen großzügigen Steuernachlass, doch Wholefoods ist so etwas wie das Aushängeschild des organischen New Age der USA.
In gleicher Weise ist Midtown die Heimat für einige design-orientierte neue Firmen der Kreativwirtschaft und wohl behütet durch die Universitätspolizei der Wayne State University.
Die sollen angeblich deutlich zügiger auf Notrufe reagieren als das Police Department von Detroit. Doch diese Geschichte steht auf einem ganz anderen Blatt.
Ich persönlich bevorzuge Honest John’s, zwischen Cass Avenue und der Second Street. Dort weiss man zwar nichts über Midtown, sagen sie, aber ein Neonschild an der Wand strahlt dass Männer lügen und die Jukebox hat ebenso viele Songs aus der goldenen Zeit des Motown auf Lager, wie die Männertoilette Tags des 21. Jahrhunderts bereithält.
Damit hat es sich dann auch schon fast mit den neuen Zentren der Geschäftigkeit und an einem diesigen Novembersonntag wird man sein Fahrrad auch weiterhin völlig ungestört über all diese Inseln der Detroiter Renaissance steuern können.
Jenseits dieser neuen Sprungkraft hingegen fällt man recht bald in die enorme Weite der vornehmlich schwarzen Kluft zwischen Midtown und der 8 Mile Road.
Wenn irgendeine Information über Detroit sicher ist, dann ist es wohl seine schiere Größe. In den 50er Jahren, auf der Spitze ihrer Blüte, beherbergte die Stadt um die zwei Millionen Einwohner. Die letzte Erhebung hingegen ergab etwas über 700.000 und ab und zu hört man Stimmen, die selbst eine halbe Million in Zweifel stellen.
Es ist kein Wunder, dass das in der Folge entstandene Loch bei weitem zu groß ist, als dass die verarmte und ausgelaugte Stadt es unterhalten könne, ganz zu schweigen von irgendeiner Art von Renaissance Dynamik.
Die Vorstädter aus den benachbarten Städten Troy oder Birmingham überqueren dieses Niemandsland in der Regel nur auf ihrem Weg in die innerstädtischen Casinos oder Sportpaläste.
Man hört es sei eine Essenswüste und manch einer behauptet gar, diese Teile der Stadt würden ganz bewusst einer Art Ghetto Diät unterzogen. Fakt ist, dass man auf seiner Fahrt entlang der entkleideten Boulevards so gut wie keinen Supermarkt zu Gesicht bekommt. Die Infrastruktur dieser Gegenden setzt sich aus Schnapsläden und den sogenannten Partystores zusammen, dazu hier und da ein Stripjoint, Fast Food Outlets der billigsten Sorte, so wie dem unvermeidlichen Crack House in jedem zweiten oder dritten Block.
Die finstersten auf dem Markt erhältlichen Gerüchte deuten an, dass vergammeltes Essen und hirnschädigende Chemikalien über Jahrzehnte hinweg ganz systematisch in diese Viertel gepumpt wurden. Die öffentlichen Schulen sind demnach reine Teufelsküchen, jugendliche Markplätze für Crack und Sex.
Und von anderer Seite hört man Geschichten, dass Detroit unter anderem deswegen keinen funktionierenden Nahverkehr besitzt, weil bestimmte Menschen überhaupt nicht wünschen, dass eine Gruppe anderer Menschen sich allzu problemlos durch die Stadt bewegt.
Rumors and Research, wie die Überschrift zu diesem Kapitel bereits besagt. In Detroit eine besonders herausfordernde Aufgabenstellung, denn alle hier gehandelten Informationen sind ungleich schwerwiegender als die Schlacken, die man von Zuhause kennt.
Heikle Angelegenheiten allesamt, so undurchsichtig wie widersprüchlich, und verdeckt von einem tief verwurzelten Korruptionsgestrüpp in Stadt und Land.
Falls man aber doch daran interessiert ist, wirklich hinter die Kulissen zu blicken, sind all diese Verknüpfungen und Verstrickungen wiederum gar nicht so überraschend zustande gekommen.
Im 19. Jahrhundert nämlich bildete Detroit die Endstation der sogenannten “Underground Railroad”, einem geheimen Netzwerk von Fluchtrouten für schwarze Sklaven auf ihrem Weg nach Kanada.
So empfinde ich es als kaum verwunderlich, dass diese Form der Gegenkultur ihre Spuren hinterlassen hat, im “Midnight Express”, einem der Schlüsselwörter für Detroit in der damaligen Geheimsprache.
“Für den schwarzen Mann ist es doch ganz natürlich, an Verschwörungstheorien zu glauben.”
Einen Augenöffner, den ich gratis von einem Verkäufer im T-Mobile Shop in Midtown erhalte. Und warum auch nicht, die schwarzen Amerikaner sind von der weißen Obrigkeit kontinuierlich in alle erdenklichen Körperöffnungen gefickt worden. Rassistisch motivierte Ungerechtigkeit in der amerikanischen Gefängnisindustrie ist beileibe kein Geheimnis. Da macht es kaum einen Unterschied, ob nun tatsächlich mehr schwarze amerikanische Männer im Gefängnis sitzen als an den Universitäten eingeschrieben sind, oder ob es eben ein paar weniger sind. Stimmen könnte es allemal.
Die absoluten und prozentuellen Zahlen für eingesperrte afro-amerikanische Männer sind so deprimierend wie beschämend.
Detroit ist und bleibt eine schwarze Stadt, was vielleicht der wahre Grund für seine anhaltende Stigmatisierung in der amerikanischen Öffentlichkeit ist. Und selbst wenn unser zerbrochener Häuptling mit seinen Hirngespinsten einer außerirdischen Invasion ab und zu gehörig am Ziel vorbeifliegt – seine Hausaufgaben in afro-amerikanischer Geschichte hat er gemacht. Es sind dies Gerüchte und Theorien, die leider allzu plausibel klingen.
Nichts als Kinkerlitzchen, wenn es nach Derek geht. Er ist der nächste Perfect Stranger auf dieser Reise, ein erfolgreicher Absolvent von New York’s elitärer Columbia University. Gerade jetzt ist er mega high auf Information, nach einem zweitägigen Ausflug in die vielversprechende Goldmine, die man unmittelbar vor seiner Nase aufgeschlossen hat.
“Lass uns das D rocken, Alter!” jubelt er. “Man ich bin so aufgeregt, wenn ich an den ganzen coolen Scheiß denke, der bald in dieser Stadt abgehen wird!”
Derek ist der Mann der Stunde, wäre er zumindest gerne. Er kommt soeben von diesem Geschäftsmeeting mit einer Gruppe brandheißer Investoren aus Ohio und ist ab heute mit den schweren Jungs unterwegs. In seinen billigen Kunstlederschuhen und dem miserabel sitzenden Konfirmandenanzug.
Schon jetzt betet er fein säuberlich den ganzen Investment Mumbo Jumbo herunter, den sie ihnen eingetrichtert haben, die Tausende von Jobs die sie zurück nach Detroit bringen werden, und so weiter und so fort.
Nach dem futuristischen Meeting waren sie alle zusammen ins MGM Grand Casino gezogen, wo seine neuen Millionärsbuddies in eine ausgewachsene Schlägerei über ein paar Gucci Bräute gerieten. Derek ist mächtig stolz über die Räuberpistolen, die er jetzt aus erster Hand erzählen darf. Und natürlich totally excited.
Es gibt unendlich viele Möglichkeiten in dieser Renaissance City, die Welle läuft doch eben erst an. Bei den Großen Drei (General Motors, Ford und Chrysler) läuft es wieder prächtig und dieses mal wird Derek zur rechten Zeit aufspringen.
Und hab keine Sorge, wenn Du noch nie auf einem Brett gestanden hast, flüstert ihm der Twenty First Century Fox ins Ohr, glaub mir, ich selbst habe noch nie einen Hai hier draußen gesehen.
Na gut, bitte entschuldigt, es sind nur meine altbekannten, dunklen Geister, die hier einmal mehr das Wort ergriffen haben.
Derek ist auch nichts weiter als ein ganz durchschnittlicher und fleißiger Universitätsabsolvent, der in Zeiten wirtschaftlicher Turbulenzen auf der Suche nach einem vernünftigen Job ist.
Einer Gelegenheit, Hoffnung zu schöpfen, Teil einer neuen Zukunft zu werden, einer neuen Legende vielleicht, der triumphalen Rückkehr des schwarzen Pferdes.
Und an einem sonnigen und relaxten Freitagnachmittag in der City von Detroit kann man es sogar finden, dieses nette und aufheiternde Gesicht, das sich zurecht macht für die Renaissance City, von der wir in letzter Zeit so viel gehört und gelesen haben.
Ein paar schicke Cocktail Parties sind auf der Agenda, ebenso wie internationale Star DJs, die der Legende ihren Tribut zollen, gleich nebenan werden Reservierungen für die aufwändig restaurierten City Lofts entgegengenommen.
Nur einen Block weiter wird der grandiose und erweiterte Neubau des Gefängnisses für das Wayne County beworben, mitten in der City. Traurigerweise eine der neuen Vorzeigewachstumsindustrien der USA.
Und an genau diesem fröhlich anmutenden Freitag haben sich die Fahrer auf über 50 städtischen Buslinien gemeinschaftlich krank gemeldet. Um sich Gehör zu verschaffen, eher ist es ein Hilfeschrei, die Gewalt in den Bussen ist zunehmend außer Kontrolle geraten.
Und so gehen sie unaufhörlich weiter, diese schrägen Rhythmen der Motown. Zu jedem verfügbaren Stückchen Information wird im Handumdrehen das passende oder unpassende Gegenstück serviert.
Wenn dir das Wetter nicht passt, warte eine Viertelstunde, IT’S A MICHIGAN THING.
In diesem Sinne ist Detroit eine äußerst moderne Stadt, denn sie limitiert dich auf eine sehr individuelle Auslegung von Wahrheit. Ambivalent bis tief ins Mark. Gut möglich, dass es einmal mehr die uns unbegreifliche Weite des Landes ist, die den Bezugsrahmen aufspannt und jenen fruchtbaren Boden bereitstellt, auf dem Gerüchte und Spinnereien jeglicher Couleur bestens gedeihen können.
So oder so besteht jederzeit die Gefahr, dass die Struktur der eigenen Arbeit ganz und gar verloren geht, und dabei macht es kaum einen Unterschied, wenn man sich auf persönliche Information beschränkt.
Wir alle sind längst eingetaucht in diesen Rausch der Information, bis zum Rand voll mit dem Scheiß, kaum noch können wir es bei uns behalten und natürlich ist es ganz und gar aussichtslos, die Geschichte wieder in eine gerade Form bringen zu wollen.
So bleibt uns wohl nichts anderes übrig, als pflichtbewusst zurück auf den gewählten Pfad zu kehren, zurück in das halbseidene Dickicht der Weirdos und Last Dollar Desperadoes.
Zurück auf unsere sagenumwobene Geisterfahrt, wo man am Ende doch immer noch die aufschlussreichsten und konsequentesten Charaktere trifft.
Menschen wie Deville, der nur mal eben gekommen ist um abzuchecken, wie es seinem Mann hier unten geht, an der Hart Plaza, direkt unterhalb des Renaissance Centers.
Der Statur von Antoine Laumet de La Mothe, um genau zu sein, Sieur de Cadillac, dem Gründungsvater von Detroit. Deville ist nämlich nach ihm benannt, lässt er uns wissen, weil sich seine Mutter in das Cadillac Coupe deVille verliebt hat, damals bei der Detroit Motor Show.
Er ist ein wahrhaftiger Sohn dieser Stadt, Deville, er weiß alles über die Figur und wie sie ihn wieder auf Hochglanz poliert haben, HIS MAN.
Der schmucke Tim verspannt in derartigen Situationen schnell ein wenig, in der Gesellschaft schwarzer Jungs von der Straße. In der Tat sieht Deville so aus, als ob er böse ausrasten könnte, wenn man ihn zur falschen Zeit am falschen Ort trifft. Doch im Moment ist er chill, schon ein bisschen angetrunken. In seiner überdimensionierten Jacke der Detroit Tigers steckt eine extra große Bierdose und er ist ausgesprochen interessiert daran, seine fröhlichen Gedanken im Hier und Jetzt mit uns zu teilen.
Und so lernen wir, im Einklang mit den Geschichtsbüchern, dass Detroit nach den Schnellen im Strom benannt wurde, und im Namen von Ludwig dem Vierzehnten, dem Sonnenkönig HIMSELF, eine mehr als nur plausible Erklärung für den verschwenderischen Charakter dieser Stadt.
Cadillac war flussabwärts von Montréal gekommen, zusammen mit 51 Trappern in 23 Kanus, sieben Wochen waren sie unterwegs. Man nannte ihn einen Edelmann und Abenteurer, welch wahrhaft vielversprechende und erfüllende Bestimmung für einen Mann das doch sein soll!